Die Story

Klecks über Fleck zum Stillarismus

Kun­st machen mit dig­i­tal­en Mit­teln – wie könn­te das ausse­hen? Diese Frage stellte sich mir gegen Ende meines Beruf­slebens, aus­gelöst durch ein beson­deres Erleb­nis. Trotz kün­st­lerisch­er Aus­bil­dung hat­te ich lange im Mar­ke­ting gear­beit­et und dort einen wirk­lich guten Job gemacht. Neue Entwick­lun­gen auf­spüren, Prob­leme auf kreative Art lösen, trou­ble­shoo­ting – da lag meine Stärke.

Schon früh erkan­nte ich, dass eine dig­i­tale Re­vo­lu­tion bevor­stand, die uns zum Umdenken zwin­gen würde. Nicht nur im Mar­ket­ing, son­dern in fast allen Bere­ichen des täglichen Lebens. So auch in der Kun­st, der nach wie vor mein Herz gehörte. Hier wollte ich weit­er forschen.


Noch aber war es nicht soweit. Noch fuhr ich jeden Mor­gen zur Arbeit, hat­te aber fast nichts mehr zu tun. Mein Schreibtisch war leer. Ich hat­te alle Auf­gaben wegdelegiert, Ver­ant­wor­tung abgegeben. Nun star­rte ich die Wände an und sah meinen jün­geren Kol­le­gen hin­ter­her, die eifrig den Flur ent­lang flitzten.

Mein Nicht­stun machte mich halb wahnsin­nig, mein Gehirn wollte Beschäf­ti­gung, ich kon­nte ihm aber nichts bieten. Um den­noch „busy“ zu wirken, öffnete ich Tag für Tag mein iPad und spielte herum.


So auch an diesem Mor­gen. Plöt­zlich blieb mein Blick an einem Foto hän­gen. Irgend­wann ein­mal hat­te ich einen Maltisch fotografiert, über­sät mit Kleck­sen und Tropfen, die beim Malen ent­standen waren. Ein zufäl­liges buntes Muster auf dem Touch­screen? Nicht ganz. Denn als ich genauer hin­schaute, ent­deck­te ich im „Gewim­mel“ einen weib­lichen Akt. Einen Tor­so, wie man ihn aus der Antike kennt.

Das inter­essierte mich. Ich begann, das Meer von Kleck­sen näher zu betra­cht­en, zoomte es her­an. Ich sah noch weit­ere For­men und Muster darin. Ein Tier zum Beispiel, einen Apfel und spazierende Men­schen. Es war verblüf­fend, wie mein Gehirn den Fleck­en­tep­pich in etwas umwan­delte, das Bedeu­tung hatte.


Ich öffnete die Farb-Tropfen­bilder in ein­er Grafik-App. Dort kon­nte ich mit ein­fachen, manch­mal nur zaghaften Strichen den Mustern und Fleck­en eine Kon­tur geben. Ich begann, mit den Mustern zu spie­len und ent­deck­te darin immer mehr For­men und Bilder. Die skizzen­haften Lin­ien führten dazu, dass der poten­tielle Betra­chter das­selbe sehen würde wie ich. Das Zusam­men­wirken von iPad, Stift und den Fleck­en-Fotos stim­ulierten mein Gehirn. Sie halfen mir, Kreativ­ität und Fan­tasie zu entfalten.

Ich ver­brachte die näch­sten Büro-Tage damit, auf dem iPad zu exper­i­men­tieren. Der dig­i­tale Zeichen­s­tift war mein wichtig­stes Werkzeug. Ich zog weit­ere Klecks-Fotos hinzu. Auch hier kon­nte ich geheimnisvolle Fig­uren, Tiere, Pflanzen in den Kleck­sen und Fleck­en aus­machen und behut­sam bear­beit­en. Diese Ent­deck­ungsreisen macht­en nicht nur Spaß, sie sorgten auch für tiefe Befriedi­gung. Eine Art Med­i­ta­tion, die mich vorm bore out bewahrte. Stun­den kon­nten verge­hen, in denen ich dig­i­tale Bilder schuf, die kaum mehr von tra­di­tioneller Malerei zu unter­schei­den waren.


Malerei und Zeich­nen waren während des Kunst­stu­diums nie mein Ding gewe­sen, ich hat­te über­wiegend konzep­tionell gear­beit­et. Das set­ze ich mit der dig­i­tal­en Malerei nun fort. Denn dahin­ter ste­hen wed­er Pin­sel, Far­ben noch Bleis­tift, son­dern ein kreatives Konzept: Zufäl­ligkeit­en greif­bar machen mit dig­i­tal­en Mitteln.

Diese eigene Art kün­st­lerisch zu arbeit­en, nenne ich Stil­lar­is­mus. Die Beze­ich­nung ver­danke ich einem ital­ienis­chen Kol­le­gen und seinem Hin­weis auf die ital­ienis­chen Begriffe stil­la (Tropfen) bzw. stil­lare (her­aus­fil­tern, durch­sick­ern, tröpfeln, Geheim­nis aufdeck­en).
Für weit­ere Ent­deck­un­gen hier eine Link-Sammlung: